Vier Dimensionen von Antisemitismus

Hier möchte ich nur kurz vier verschiedene Dimensionen von Antisemitismus angeben, damit wir im Umgang damit die Ursprünge etwas einordnen können. Diese sind kompakt in der Materialsammlung zum Thema Antisemitismus des Sara-Nussbaum-Zentrums zusammengefasst.

  1. Die religiöse bzw. traditionelle Dimension
    Diese Dimension beschreibt den Antijudaismus, der bereits im Mittelalter vorgeherrscht hat und aus der Perspektive stammt, dass das Christentum die einzige existierende Religion darstellen sollte. Dadurch wurden Menschen jüdischen Glaubens dämonisiert, abgegrenzt und ausgeschlossen. Wie in dem kurzen historischen Abriss bereits erwähnt wurde, wurde der Antijudaismus vom Antisemitismus abgelöst, die damals erzeugten Vorurteile und Stereotype wurden aber weitergetragen. So lassen sich Verschwörungsfantasien, wie unter anderem die einer jüdischen Finanzelite, die auch heute noch kursieren, aus dieser Zeit ableiten.

  2. Die politische bzw. rassistische Dimension
    Mit dem Wandel vom Antijudaismus hin zum Antisemitismus, also dass Jüd*innen nicht mehr nur an eine andere Religion glauben, sondern ein Volk darstellen, verbreitet sich der Mythos der „Heimatlosigkeit“ von jüdischen Menschen. Dieser Mythos verstärkte die Ideologie einer „jüdischen Weltverschwörung“. Im Aufkommen des Nationalsozialismus steigerte sich diese Fantasie zu der Behauptung einer biologischen Unterscheidbarkeit der „jüdischen Rasse“ und damit zu einer Unvereinbarkeit mit anderen Völkern. Die Spuren dieser Behauptungen finden sich auch heute noch in den Vorurteilen, dass jüdische Personen fremd, „die Anderen“ und illoyal seien.

  3. Die sekundäre bzw. latente Dimension
    Diese Dimension beschreibt eine „neue“ Form des Antisemitismus, der bei uns auch Abwehr- oder Nachkriegsantisemitismus genannt wird. Gemeint ist damit der latente Antisemitismus, der trotzt der geschichtlichen Aufarbeitung und der Erinnerungskultur auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist. Er entsteht aus einer Abwehrhaltung, weil man mit der Schuld und den Verbrechen der jüngeren deutschen Geschichte nichts mehr zu tun haben und einen „Schlussstrich“ unter diese Vergangenheit ziehen möchte. Ausprägen tut er sich durch die Verharmlosung der Grausamkeit des Holocausts oder auch des Umtauschens der Täter-Opfer Rollen in diesem Zusammenhang (auf welches ich im nächsten Kapitel eingehen werde). Durch letzteres werden in Kombination mit der Forderung, die Vergangenheit nicht mehr zu thematisieren, erneute Anfeindungen legitimiert. Den Opfern des Nationalsozialismus wird unterstellt, den Holocaust „übertrieben“ zu thematisieren und ihn als Vorteil zu nutzen. Wieder werden Schuldzuweisungen gemacht, die sich gar in der Form äußern, dass jüdischen Mensch die Schuld ihrer Verfolgung nachgesagt wird.

  4. Die israelbezogene bzw. antizionistische Dimension
    Hier fühlen sich Menschen oft auf den Schlips getreten. Da es sich um eine vermeintlich politische Kritik handelt, ist die Differenzierung zwischen legitimer Kritik und antisemitischen Äußerungen hier besonders schwer. Gerade deshalb ist es wichtig sich diese bewusst zu machen. Man kann die Regierung jedes Staates kritisieren, auch die des israelischen Staates, aber allein der Begriff „Israelkritik“ ist bereits problematisch. Wenn über andere Staaten gesprochen wird, werden Vorwürfe auch nicht mit „Türkeikritik“ oder „USA-Kritik“ betitelt. Man spricht (momentan) über Trumps Kurs oder Erdogans Entscheidungen. Hier ist bereits der Doppelstandard zu erkennen, der an den israelischen Staat im Gegensatz zu anderen gestellt wird. Auch hierbei wird pauschalisiert und statt einzelne Facetten und Personen wahrzunehmen wird von einem geschlossen Kollektiv gesprochen. Diese Form des Antisemitismus zeigt sich dann in der Absprache des Existenzrechts dieses Staates oder dem teilweisen Vergleich zwischen der israelischen Regierung und den deutschen Nationalsozialisten. Bei antisemitischen Äußerungen gegen den israelischen Staat fallen oft die bekannten Vorurteile auf, dass jüdische Personen einen schlechteren Charakter hätten und die Politik Israels wird als Beweis dafür angeführt. Oft fallen in diesem Kontext unzutreffende Wörter wie „Apartheid“, „Nationalsozialismus“ oder „Imperialismus“.

Quelle:

  1. Sara-Nussbaum-Zentrum (2019): Materialsammlung „Antisemitismus heute“ für Pädagog*innen.