Neue alte Vorurteile

Gerade haben wir also festgestellt, dass gewisse Vorurteile schon seit Hunderten von Jahren bestehen. Diese Vorurteile treten im Laufe unserer Geschichte immer wieder in neuen Gewändern auf und werden auf jeweils aktuelle Situationen und Umstände gemünzt. Wenn wir diese Darstellungen und Bilder nicht kenntlich machen, sodass sie bewusst aufgearbeitet werden können, helfen wir diese Vorurteile zu reproduzieren. Denn wie ich bereits beschrieben habe, stecken verwurzelte Zuschreibungen in unseren Köpfen, die es gilt, auf die Probe zu stellen.

Stereotypische Darstellungen

Die Stereotypisierung jüdischer Personen begann nicht erst im deutschen Nationalsozialismus der 1930er Jahre.(Vgl. 2) Allerdings erfuhr sie in dieser Zeit ihren Höhepunkt, vor allem durch die systematische Ausgrenzung und Dämonisierung jeder einzelnen jüdischen Person als ein fiktives geschlossenes Kollektiv. Ihnen wurden weltverschwörerische Vorhaben angehängt, so wurden die sowohl der „Erfindung“ des Kapitalismus‘ wie auch des Kommunismus‘ beschuldigt. Als machthungrig und geizig, mit physisch eindeutigen Merkmalen wie einer Hakennase, einer krummen Haltung, etc. Die Bilder sollten möglichst fremd und abschreckend wirken. Die unterdrückte Minderheit wurde als biologisch und charakterlich „anders“ und „bösartig“ dargestellt.
Gerade in einer Gesellschaft, in der Propaganda und Vorurteile die Moral ersetzen sollen, ist eine kritische Auseinandersetzung nicht gewünscht. Dass die eigenen Nachbar*innen, Schulkamerad*innen, etc., bei denen man doch eigentlich eine facettenreiche Persönlichkeit festgestellt hat, von diesem Bild abweichen, soll nicht in Frage gestellt werden.
So wurden jüdische Personen in ihren Berufen und privat boykottiert.



In einigen osteuropäischen Ländern wie Polen und Ungarn wird Antisemitismus durch stereotypische Abbildungen oft noch offen geäußert. So finden beispielsweise öffentliche Verbrennungen von Puppen statt, die einer antisemitischen Karikatur gleichen. Aber auch in westlichen Ländern wie Belgien, finden sich wiederholt diskriminierende Darstellungen gegenüber jüdischen Personen.
Diese Abbildungen werden unter dem Schutz der Satire oder der Tradition oft verteidigt, reproduzieren aber genau wie in der Vergangenheit Stereotype und Vorurteile.



Außerdem ist international die Bewegung des BDS, also die „Boycott, Divestment, Sanctions“- Bewegung, aktiv. Diese findet in allen Spektren unserer Gesellschaft Anhänger. Sie setzt sich für einen kompletten Boykott Israels ein, was Waren betrifft, aber auch Informationen und Personen, in Form von der Boykottierung namhafter Professor*innen oder Wissenschaftler*innen. Und eines vorab, wie bereits erwähnt: Kritik an der Regierung Israels kann von jedem geäußert werden. Wenn Israel aber mit jüdischen Personen gleichgesetzt wird oder andersherum, handelt es sich auch hier um klaren Antisemitismus. Der BDS setzt sich dafür ein, dass israelischen Forschenden die Vorträge in anderen Ländern abgesagt und untersagt werden und verallgemeinern somit die Individuen auf ein israelisches Kollektiv, dass es zu bestrafen gilt. Des Weiteren demonstrieren sie gegen das Bestehen des Staates Israel, sprechen ihm also sein Existenzrecht ab. Auch hier äußert sich eine Form des Antisemitismus, auf die durch die Verlagerung der Vorurteile gegen eine Minderheit auf einen Staat, oft zu wenig Augenmerk gelenkt wird.

Das heißt nicht, dass Anhänger des BDS automatisch Antisemiten sind. Oft fehlt die notwendige Differenzierung und Aufklärung, ihr Handeln reproduziert aber auch unwissentlich diskriminierende Bilder.

Warum fehlt die notwendige Differenzierung denn überhaupt?

Bei einem Projekt des Georg-Eckert-Instituts mit dem Anne Frank Zentrum e.V. Berlin wurden Stichproben von aktuell verwendeten deutschen Schulbüchern analysiert und die Darstellung des Antisemitismus in diesen genauer betrachtet.(Vgl. 3) Dabei war festzustellen, die „Darstellung antisemitischer Haltungen und Handlungen steht im Vordergrund, Erklärungsversuche bleiben dagegen in der Regel kurz und eher schlagwortartig, jedenfalls selbst in den S[ekundarstufe]II-Büchern ohne Bezug auf sozial-psychologische Theorien oder Erklärungsansätze.“(3) Also genau dieses erkennbar machen von unseren Vorurteilsmechanismen fehlt in unseren Lehrbüchern.
Es liegt an uns, uns nicht nur durch erlernte Darstellungen ein Bild von Sachverhalten zu machen, sondern auf die Hintergründe zu schauen und uns zu darüber informieren, wie unsere Ansichten und unsere Gesellschaft überhaupt funktionieren.
Denn Antisemitismus gehört genauso wenig automatisch in unsere christlich geprägte Gesellschaft, wie er als „quasi-Konstante jüdischen Lebens hingenommen“ werden darf.(3)


Quellen:

  1. Aziz, Nabila Abdel (21.10.2019): So viel Antisemitismus steckt in deutschen Schulbüchern. Für Bayrischer Rundfunk 24.
    https://www.br.de/nachrichten/kultur/so-viel-antisemitismus-steckt-in-deutschen-schulbuechern,RfFG3d9
  2. König, Julia (23.11.2006): Judenfeindschaft von der Antike bis zur Neuzeit. Für Bundeszentrale für politische Bildung.
    https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37951/von-der-antike-bis-zur-neuzeit
  3. Pingel, Falk (2017): Zur Darstellung des Antisemitismus in deutschen Schulbüchern. Eckert. Dossiers 9.
    http://repository.gei.de/bitstream/handle/11428/218/ED9_Pingel_Antisemitismus.pdf?sequence=1