Wie definiere ich mich als Beobachter*in?

Wenn ich über bestimmten Themen nachdenke und mit meinen Freund*innen und Kolleg*innen darüber spreche, stelle ich mir vorher ein paar Fragen, die mit dem Diskussionsthema zu tun haben, damit ich mir darüber bewusst bin, aus welcher Perspektive und auch Expertise ich mit ihnen über dieses Thema spreche.

In unserem Beispiel werden wir über die (Selbst)Wahrnehmung und Inszenierung „jüdischer Identität“ in der US-amerikanischen Popkultur sprechen. Es gibt also Fragen, die ich mir vorher beantworten muss, um überhaupt darüber sprechen und nachdenken zu können. Ich nenne diese Verständnisfragen:

  1. Weiß ich, was mit (Selbst)Wahrnehmung gemeint ist?
  2. Weiß ich, was mit Inszenierung gemeint ist?
  3. Verstehe ich, was unter der Formulierung „jüdische Identität“ gemeint ist?
  4. Habe ich Hintergrundwissen zu den USA und zu jüdischem Leben in den USA?
  5. Weiß ich, was Popkultur bedeutet?

Wenn du hier jedes Mal „Nein“ denkst, ist das nicht schlimm. In den nächsten Lektionen versuche ich, dir hier noch etwas mehr Hintergrundwissen zu geben.

Nun gibt es aber in Bezug auf diese Verständnisfragen und unser Kursthema auch Fragen, die etwas mit mir als Diskutierende zu tun haben. Ich nenne sie Self-Awareness-Fragen, denn sie haben etwas mit der schon so viel erwähnten Perspektive zu tun, aus der ich spreche. Ich frage mich, wenn ich über die Inszenierung „jüdischer Identität“ in der US-amerikanischen Popkultur spreche, hier also etwas über mich selbst:

Z. B.

  1. Bin ich männlich, weiblich oder divers? → Ich bin weiblich und spreche immer aus einer weiblichen Perspektive.
  2. Beobachte und diskutiere ich das Thema aus einer Fremd- oder Eigenperspektive? → Ich bin nicht jüdisch und lebe nicht in den USA, ich beobachte und diskutiere in diesem Fall also immer aus einer Fremdperspektive.
  3. Bin ich vertraut mit popkulturellen Phänomenen? → Ich schaue viele Serien und Filme und habe mich im Rahmen meines Studiums viel damit beschäftigt, ich spreche in diesem Fall also aus einer Expertinnen-Perspektive.
  4. Wo lebe ich und gehöre ich hier der sogenannten Mehrheitsgesellschaft an? → Ich lebe in Deutschland, sehe deutsch aus, werde als Deutsche/Europäerin wahrgenommen und gehöre damit der Mehrheitsgesellschaft an.
  5. Habe ich Diskriminierungserfahrungen? → Ich habe als Frau Diskriminierungserfahrungen im Rahmen einer patriarchalen Gesellschaft. Ich werde deutsch gelesen und mache dementsprechend keine Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Hautfarbe, religiöser Zugehörigkeit oder Herkunft. Ich spreche in diesem Fall also aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft.

Aufgabe 1:

Ergänze den Fragenkatalog für dich mit einer weiteren sinnvollen Aufgabe und beantworte die Fragen für dich selbst aus deiner Perspektive.

Aufgabe 2:

Überlege, wie eine Serie heißen könnte, in der du die Hauptrolle spielst und beschreibe kurz, um was es darin gehen würde.

In meinem Fall wäre das zum Beispiel „Theaterfrauen“. In der Serie ginge es um Frauen, die gerne und leidenschaftlich Theater machen und schauen.

Aufgabe 3:

Überlege nun, wie ein Kurs heißen könnte, in dem über deine Serie gesprochen wird und was genau dieser Kurs untersuchen soll.

In meinem Fall wäre das dann „Zur Inszenierung von Frauen im Kulturkontext in seriellen Formaten Deutschlands seit den 2000ern.“

Aufgabe 4:

Erstelle ein mindestens vier Kapitel umfassendes Inhaltsverzeichnis dieses Kurses und beschreibe in einem Satz, um was es in diesem Kapitel gehen wird.

In meinem Fall wäre das dann:

Zur Inszenierung von Frauen im Kulturkontext in seriellen Formaten Deutschlands seit den 2000ern.

  1. Kapitel – Frauen im Kulturkontext. Eine Einleitung. >> In diesem Kapitel eröffne ich die Frage nach der Rolle, die Frauen in der Geschichte im Kulturkontext gespielt haben und beschreibe den Status Quo anhand der Freien Theaterszene in Frankfurt (denn da habe ich meine eignen Erfahrungen gemacht).
  2. Kapitel – Serielle Formate mit weiblichen Protagonistinnen. >> Ich untersuche, in welchen Serien Frauen überhaupt die Hauptrolle/Titelrolle spielen und mache einen Vergleich zu Serien, in denen Männer die Hauptrolle/Titelrolle spielen. Ich recherchiere, ob sich die Präsenz von Frauen in seriellen Formaten zum Beispiel seit der #metoo-Debatte verändert hat, also ob sie angestiegen ist und ob sich die in den Serien gezeigten Frauenbilder verändert haben.
  3. Kapitel – Kulturfrauen: Zwischen Bessersein und Besserseinmüssen als ihre männlichen Kollegen. >> Ich suche mir eine weibliche Künstlerin heraus und forsche zu ihrer Arbeit anhand von Interviews und Werken, und begebe mich auf die Suche nach ihren Erfahrungen in einer von Männern dominierten Branche. Hierfür ziehe ich auch Interviews mit männlichen Kollegen vor und nach der #metoo-Debatte als Untersuchungsgegenstand heran, um zu recherchieren, ob und wie sich das Sprechen ÜBER Frauen im Kultur-Kontext verändert hat.
  4. Kapitel – Beispiel: Theaterfrauen. >> Ich analysiere nun die Serie Theaterfrauen und versuche herauszufinden, wie die von mir oben aufgestellten Forschungsergebnisse über die Rolle von Frauen in der Kultur-Szene in dieser Serie verhandelt wird.
  5. Kapitel – Über die Abwesenheit weiterer Beispiele. >> Ich beschreibe, wie die Abwesenheit von Serien, die sich mit Frauen im Kultur-Kontext auseinandersetzen das allgemein vorherrschende Machtgefälle im Kultur-Kontext wiederspiegelt und fordere mehr Achtsamkeit im Umgang damit.
  6. Kapitel – Zusammenfassung. >> Ich fasse meine Ergebnisse zusammen und versuche eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln.