The Nanny oder „Hip im Exil“

Fran: I’m just trying to expose the children to other cultures. We order Chinese food, they learn how Jewish people eat.

Fran in der Folge The Nuchslep (Staffel
1, Folge 4)

Zitate wie das obige findet man in beinahe jeder Folge von The Nanny. Sie Serie thematisiert immer wieder das Jüdisch-Sein ihrer Figuren: Fran, ihre Mutter Silvia und auch ihre GroßmutterJetta sind Frauen, zu deren Identitätsentwurf das Jüdisch-Sein dazu gehört und wie selbstverständlich von ihnen selbst immer wieder als Referenzrahmen für bestimmte ihrer Verhaltensweisen, Denkmuster und Einstellungen angeführt wird.

Ein schönes Beispiel aus der Folge Staffel 4, Folge 21 The Passed-Over Story: Frans Familie lädt die Familie der Sheffields, in der sie als Nanny arbeitet, zum gemeinsamen Pessach-Fest zu Ihnen nach Hause ein. Alle essen zusammen. Nach dem Essen fragt Mr. Sheffield Fran, ob denn bei allen jüdischen Feiertagen so viel gegessen wird? Und sie antwortet:

Why do you think we wandered the desert for 40 years? We were walking off the meal.

Ich möchte mich mit dir hier nicht nur fragen, wie genau das in The Nanny geschieht, sondern nochmal einen Blick in Caspar Battegays Aufsatz „Hip im Exil“ im bereits mehrfach erwähnten Buch Judentum und Popkultur werfen, um zu verstehen, in welchem Kontext das passiert.

„Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war es alles andere als absehbar, dass das Judentum – versteht man es nun als Religion oder als kulturell-ethnische Gemeinschaft – überhaupt zu einem populären Thema wird, beziehungsweise dass sich die Popkultur als Äußerungsform des Jüdischen etabliert. […]“ An dieser Stelle beschreibt Battegay die bereits im Abschnitt 5 Lektion 1 zu Popkultur angeklungenen Kritiken an Popkultur, welche vor allem in den 1950ern durch die beiden in die USA emigrierten deutschen Philosophen Max Horckheimer und Theodor W. Adorno sehr präsent waren: „Im Gegensatz zum in sich autonomen ‚Werk‘ der klassischen Hochkultur würden [so die These der beiden] die Produkte der Kulturindustrie ihre kapitalistischen Produktionsbedingungen bloß reproduzieren und nicht reflektieren. Sie trügen keinerlei Widerstand in sich.“ Heute, knapp 70 Jahre später, wird Popkultur grundsätzlich anders wahrgenommen: „Die faszinierenden Wechselwirkungen zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Unterhaltung und Untergrund sind Bestandteil der Kulturtheorie geworden. Man hat aber auch längst das subversive Potential der Popkultur entdeckt. […] Bilder und Figuren von Identität, Sinnkonstruktionen und Weltdeutungen befinden sich in einem rasanten Prozess der Umwandlung und der Übertragung, der Aneignung und der Weiterverarbeitung. Individuelles und kulturell eindeutig Verortbares sowie religiös Festgeschriebenes wird universalisiert und geöffnet. Umgekehrt wird allgemein Zugängliches ethnisch neu besetzt oder kulturalisiert.“ (S. 42f) Es kommt zu wechselseitigen Prozessen.

Battegay schreibt weiter: „Es gab schon immer jüdische Performer, Schauspieler, Regisseure und Komiker. Doch die Art der selbstironischen und auch selbstbewussten Repräsentation, wie sie heute für die Figuren des Jüdischen und in anderer Weise auch für andere Minderheiten in der Popkultur so typisch ist, hat sich Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er zu entwickeln begonnen. Der Mainstream hatte nach dem Zweiten Weltkrieg erstmal kulturell und religiös neutral sein, wobei es sich offensichtlich um eine Pseudo-Neutralität und im Grund um das Primat der weißen und protestantischen Mehrheit handelte.“ (S. 43)

„Es gibt einige historische Bedingungen, die erfüllt sein mussten, damit die Juden in die Popkultur eintreten konnten.“ Zunächst musste erst eine „moderne demokratische Massengesellschaft, in der die Juden als politisch gleichberechtigte Bürger leben“ geben. Das war in Deutschland in den 1920ern zwar der Fall, doch dann wurde „das Experiment der offenen Gesellschaft brutal“ durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten durchbrochen. „[E]rst in den USA konnte sich dank einer signifikanten jüdischen Bevölkerung über die Jahrzehnte auch eine entsprechende Repräsentation in der populären Kultur und in der Popkultur entwickeln. […] Mit der Entwicklung zu dieser Selbstverständlichkeit jüdischer Beteiligung an der Massenkultur ging auch die Beteiligung an subkulturellen Gegen-Entwicklungen einher. Juden wollten ebenfalls hip sein – und wurden es auch.“ (S. 45f) Wie so eine „genuin jüdische Hippness“ (S. 46) sich ausdrückt, finde ich sehr treffend in The Nanny und später auch in The Big Bang Theory sichtbar.

Aufgabe 6: In beiden zitierten Beispielen aus der Serie oben geht es ums Essen. Was denkst du, wieso spielt der Umgang mit Essen für Fran Fine eine so große Rolle und was hat das mit ihrer jüdischen Kultur zu tun? Und wie kannst du das mit den Thesen von Caspar Battegay zur „jüdische[n] Hippness“ in Verbindung bringen? Schreibe einen kleinen Aufsatz, in den du wiederum das nächste Zitat einbaust.

I was 17 once too. I snuck out all the time. Of course, I didn’t have a boyfriend. I just wanted to eat bacon.

Fran in Staffel 2, Folge 4: The Cradle Robbers.

Und nun schauen wir uns wirklich Mal eine ganze Folge an:

https://www.youtube.com/watch?v=G0W6PHrN6mU

Aufgabe 7: Schau dir die 20-minütige Folge aus The Nanny an. Es handelt um die Folge The Cantor Show aus Staffel 3, Folge 24. Fran geht hier mit Gracie und Meggie in den Freitagabend-Gottesdienst in die Synagoge.

Aufgabe 8: Vielleicht hast du das auch beobachtet: Fran führt in der Folge immer wieder Vergleiche mit „Religion“ und „religiösen Ereignissen“ heran, wenn sie über Dating, Liebesbeziehungen und Männer spricht. Diese Metaphernspur zieht sich durch die gesamte Folge. Sammle diese Vergleiche in einer Liste und schreibe dann einen Liebesbrief an den Kantor aus der Perspektive von Fran Fine.

Aufgabe 9: Wenn du nochmal über die Folge nachdenkst, die du gesehen hast – welchen Eindruck hast du: Spielt das Judentum als Religion eine große Rolle für Fran und ihre Mutter? Wenn ja, warum und wenn nein, wie würdest du beschreiben, stellt sich ihre Beziehung zum Judentum in dieser Folge dar? Schreibe einen kleinen kritischen Beitrag, den du auch unter das Youtube-Video posten könntest.

Aufgabe 10: Caspar Battegay schreibt in Hip im Exil: „Es gibt eine Hippness der Randständigen, des Nicht-Dazugehörigen und des bewussten Außenseiterstums, das jeder Avantgarde eigen ist.“ (S. 49) Diskutiere seine These in einem fingierten Streitgespräch mit ihm.

Aufgabe 11: Fran Fine landet als Kindermädchen aus einer in einfachen lebenden Familie in Flushing (New York) an der Upper East Side (New York) in der betuchten Familie des Broadway-Produzenten Maxwell Sheffield. Bringe diese Narrative mit dem Titel von Caspar Battegays Aufsatz Hip im Exil in Verbindung. Was genau macht Frans Hippness im Haus der Sheffields aus? Wie entsteht gleichzeitig das Gefühl von Hippness, wie auch von Exil, wenn man die Serie schaut. Versuche, deine Gedanken durch Bilder aus der Serie, die du im Internet findest, zu visualisieren.