Serien aus der „jüdischen Perspektive“ und Serien als Ort der Auseinandersetzung

1- Serien als Ort der Auseinandersetzung

Serien scheinen, so zeigt die Liste an Serien mit jüdischen Figuren, in den USA ein beliebter Ort, um sich mit dem (eigenen) Jüdisch-Sein auseinanderzusetzen. Genauso kann beobachtet werden, dass die Wissenschaft in den letzten Jahren vermehrt dieser Beliebtheit nachgeht und sich auf die Suche nach Antworten auf die Frage Warum? begibt.

Wir haben bereits aus dem Buch Judentum und Popkultur von Caspar Battegay gelesen, ich beziehe mich in meinen Beobachtungen jedoch genauso auch seinen Aufsatz Hip werden, jüdisch werden in dem ebenfalls bereits erwähnten Buch Nicht nur Bildung, sondern Bürger von Klaus Hödl sowie eine ausführliche Studie von David Zurawikmit dem Titel The Jews of Prime Time (2003).

Die Präsenz dieses Untersuchungsgegenstandes in der Film- und Medienwissenschaft bzw. in den jüdischen Studien kommt nicht von ungefähr: Nachdem mit der jüdischen Mehrgenerationenfamilie The Goldbergs aus der gleichnamigen Sitcom (1949 bis 1951) jüdische Protagonist*innen bereits eingeführt worden waren, es aber von 1954 bis um 1987 keine jüdischen Protagonist*innen im amerikanischen Fernsehen gab, kam es in den späten 1980er Jahren im amerikanischen Fernsehen zu einem Boom jüdischer Protagonisten und Protagonistinnen bzw. zu einer Veränderung in ihrer generellen Darstellung: Das Jüdisch-Sein von Figuren musste nun, so schreibt Caspar Battegay in Hip werden, in der Popkultur nicht mehr verschlüsselt oder versteckt werden, sondern konnte in einem offenen Prozess spielerisch thematisiert und ausgelotet werden. Leider erfahren wir in seinem Aufsatz nicht, wie diese Veränderung mit gesellschaftlichen Prozessen in den USA zusammenhängt. Das fände ich sehr spannend.

Aufgabe 1: Vielleicht kannst du es herausfinden. Passierte in den späten 1970er Jahren oder frühen 1980er Jahren in den USA irgendetwas, das das von Caspar Battegay formulierte Veränderung erklären würde? Wenn ja, versuche es, in Verbindung zu bringen, wenn nein, versuche für dich zu überlegen, was noch Auslöser, Grund, Ursache dafür sein könnte!

Der Cast von der Serie Seinfeld (Quelle: cleanpng.com)

2- Seinfeld oder das Wissen von Minderheiten um Minderheiten

Im Jahr 1989 wurde also Seinfeld mit zwei jüdischen Protagonisten und einem explizit jüdischen Nachnamen als Titel zur Erfolgsserie schlechthin. In beinahe jedem Artikel zu der Serie findet man wiederum die Anekdote davon, wie der jüdische (!) Produzent Brandon Tartikoff Seinfeld nach einer Folge mit der Beurteilung als „too Jewish“ habe absetzen wollen (vgl. u. a. Zurawik). Ich finde es sehr spannend, dass er in seiner ersten Beurteilung der Serie die Spannung zwischen Selbstinszenierung und Fremdwahrnehmung aufzeigt und das ganz unverblümt in der Form einer Sprache, die mir unangenehm aufstößt. (Und das sei uns hier als eine Lektion in der Lektion vergegenwärtigt: „too Jewish“ steht hier, weil es ein Zitat aus der Selbstwahrnehmung des Produzenten ist. Ich als Vertreterin der Fremdwahrnehmung werde mir diese Urteile nie erlauben, weil es erstens keinen Grund dafür gibt, zweitens kein Wissen gibt, an dem ich das Urteil abgleichen könnte und drittens aus meinem Mund eine Beleidigung ist.) Es lässt sich nur vermuten, dass Tartikoff mit „too Jewish“ hier zu beschreiben versucht, dass er eine Gefahr darin sah, die Serie Seinfeld drohe in ihrer Art, mit bestimmten Themen umzugehen, in der Rezeption all diejenigen auszuschließen, die nicht viel über das Jüdisch-Sein wissen, also eine reine Insider-Perspektive einzunehmen. Der Erfolg der Serie konnte ihm widersprechen. Seinfeld lief beinahe zehn Jahre als eine der erfolgreichsten Serien, die je in den USA produziert wurde. Dies lässt nun einerseits vermuten, dass das „zu Jüdische“, von dem er spricht, entweder nicht existiert, oder aber dass die Serie es geschafft hat, dass, was „besonders Jüdisch“ an der Serie war, mit allen nicht dem Insider-Kreis zugehörenden Zuschauer*innen zu teilen und in einen offenen Prozess mit ihnen zu gehen.

Caspar Battegay hat hierfür eine spannende Erklärung, die er aus dem populärkulturellen Charakter der Serie und ihrer spielerisch mehrdeutigen Thematisierung kultureller Identität selbst ableitet: „Aus der jüdischen Perspektive gesehen geht es in der Popkultur um eine von vielen möglichen Aktualisierungen der Tradition, die hier jedoch – und das ist das Entscheidende – weder religiös noch ideologisch ausgerichtet ist. Liturgische und traditionelle Texte und Kontexte werden im Pop kulturalisiert und in gewisser Hinsicht universalisiert: Das Judentum erscheint nicht mehr wie im Lauf seiner mehrtausendjährigen Geschichte als die paradigmatische Minderheit, sondern als Teil einer Gesellschaft, die nur aus Minderheiten besteht. Gerade für diese Umkehrung der Optik bietet die Popkultur das ideale Medium.“ Die Populärkultur erscheint ihm das geeignete Medium, um Jüdisch-Sein oder „jüdische Identität“ mit einer bewussten Brüchigkeit in der Darstellung gegenüber eines als von ihm abwegig bewerteten inneren Zusammenhangs von Identität zu verhandeln.

Diese Feststellung lässt sich auch in den verschiedenen Beispielen auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen bestätigen. Gezeigt werden in den Serien der US-amerikanischen Popkultur, die wir zusammen schauen, säkularisierte Juden und Jüdinnen, die in Großstädten ein vor allem als amerikanisch wahrgenommenes Leben leben, in dem ihr Jüdisch-Sein eine mehr oder eben weniger große Rolle spielt. Sie hängen in Cafés rum, gehen shoppe, trinken abends mit Freund*innen ihre Biere in Bars und haben Liebesprobleme.

Aufgabe 1: „Das Judentum scheint nicht mehr wie im Lauf seiner mehrtausendjährigen Geschichte als die paradigmatische Minderheit, sondern als Teil einer Gesellschaft, die nur aus Minderheiten besteht.“ Versuche dieses Zitat zu von Caspar Battegay zu verstehen und auf deine eigene Umwelt zu übertragen, ohne dabei den Begriff Minderheit als rein kulturelle oder religiöse Zuschreibung zu sehen und lediglich abzuklopfen, wer anders aussieht als du. Überlege also, welche Menschen dich umgeben, wie sie sind, wie sie leben, wie sie denken, wie sie fühlen und ob du dann Battegays These für deine Umwelt bestätigen kannst.