Jüdisches Leben, Jüdische Studien und die Auseinandersetzung in Deutschland und in den USA

Caspar Battegay, der Verfasser des Buches „Judentum und Popkultur“ aus dem Jahr 2012 leitet dieses mit folgenden Worten ein: „Dieses kleine Buch ist aus einem Unbehagen heraus entstanden. Im deutschsprachigen Raum hat die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und jüdischer Identität Ende des 20. Jahrhunderts in vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen einen anhaltenden Boom erfahren. Doch im Gegensatz zur amerikanischen Forschung, die im Wechselspiel mit einem vielfältigen jüdischen Leben stattfindet, stehen die Jüdischen Studien in Deutschland auf einem Gräberfeld. Die Jüdischen Studien in Deutschland bleiben gebannt von Vertreibung und Massenmord.“ (S. 7) Wenn wir uns in Deutschland mit jüdischem Leben beschäftigen, geht es nicht selten um die Shoa, den Faschismus, Diskriminierung und Strukturen des Antisemitismus. Dies hat, so schreibt Battegay weiter, nicht selten den Effekt, dass in Deutschland „gegenüber jüdischen Themen oft ein sakralisierender und stereotyper – oder ein rein historisierender Umgang gepflegt“ wird (S. 7) oder „dass man nicht von Juden sprechen kann/darf/will/soll“ – das alles verdeutlicht „den unauflöslichen Komplex von Schuld und Schuldabwehr, gutem Willen und politischer Korrektheit, die in Ignoranz und neue Stigmatisierung überzugehen droht.“ (S. 8)

Er schreibt sein Buch, „[u]m mitzuhelfen, dieses Unbehagen zu durchbrechen“ und spricht in „Judentum und Popkultur“ also weder „von vermeintlich jüdischen Opfern, noch von vermeintlich israelischen Tätern, sondern von hippen Juden. […] Damit kann die angesprochene Problematik nicht überwunden werden, vielmehr soll eine andere Weise gezeigt werden, mit ihr umzugehen.“

Er traut, so schreibt er weiter, der Popkultur und „ihren Medien und Märkten [zu], etwas in Bewegung zu setzen. Nicht eine neue Selbstverständlichkeit oder gar eine unmögliche Normalität wird angestrebt, sondern eine neue […] ‚Lust‘ jenseits der lieb gewonnenen Konformität, mit jüdischer Identität umzugehen. […] “ (S.8)

Caspar Battegay ist Professor für Literaturwissenschaft in der Schweiz. Er hat viele Bücher zu jüdischem Schreiben verfasst. Er macht immer wieder klar, dass er aus einer europäischen Perspektive schreibt und dass der Umgang in den USA, das ist an den zahlreichen jüdischen Protagonist*innen in der Prime Time zu sehen, mit denen wir uns auch beschäftigen werden, ein anderer ist als der in Europa. Und das hat natürlich etwas mit der Geschichte der jeweiligen Kontinente zu tun.

Wir alle wissen um die Geschichte der Vertreibung der Juden und Jüdinnen aus Europa im 20. Jahrhundert, ebenso um die systematische Ermordung von Jüdinnen und Juden während der Shoa im Dritten Reich. Warum es nun aber in den USA einen „anderen Weg“ der Inszenierung von jüdischer Identität gibt und diese dort im Wechselspiel mit einem regen jüdischen Leben geschieht, wissen wir vielleicht nicht. Hierfür ist ein kurzer Blick in die Geschichte der Juden und Jüdinnen in den USA sehr interessant. (siehe Lektion 2 dieses Abschnitts).

Aufgabe 1:

Überlege kurz, was Caspar Battegey mit „etwas in Bewegung setzen“ meinen könnte. Was meint er mit der „’Lust‘ jenseits der lieb gewonnen Konformität“? Recherchiere zuvor, was Konformität überhaupt bedeutet.

Literaturhinweis:

Battegay, Caspar: Judentum und Popkultur. Ein Essay. Bielefeld 2012.

Cover des Buches „Judentum und Popkultur“ von Caspar Battegay, aus dem in diesem Kurs viel zitiert wird. (Quelle: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2047-4/judentum-und-popkultur/)