Friends oder Being Jewish as „technicality“

Bisher haben wir schon ein bisschen etwas über den Hintergrund der Serie Friends erfahren, nun wenden wir uns einmal unserer spezifischen Fragestellung nach der Selbst(Wahrnehmung) und Inszenierung „jüdischer Identität“ in Friends zu. In Abschnitt 4 Lektion 4 haben wir uns bereits mit einem Beispiel beschäftigt.

Aufgabe 1: Schlage in deinem Notizbuch nach, was du in dieser Lektion 4 in Abschnitt 4 über Friends erfahren hast und vergegenwärtige es dir.

Nun steigen wir mal richtig in die Auseinandersetzung mit Friends ein. Hierzu kann vorab schon Mal so viel gesagt werden:

Eine kleine oder – man könnte fast schon sagen: kaum eine – Rolle spielt die Frage nach „jüdischer Identität“ in Friends, obwohl hier drei der sechs Charaktere jüdisch sind bzw. laut Zurawik „appear to be Jewish“: die Geschwister Monica und Ross Galler sowie Rachel Green. Bei Letztgenannter spielt das Jüdisch-Sein überhaupt keine explizite Rolle. Lediglich implizit können einige Hinweise gefunden werden: Die Namensgebung scheint ein Indiz zu sein, sowie – so äußert sich der Co-Produzent David Crane in Zurawiks Buch – die aus meiner Perspektive nicht ganz verständliche Argumentation mit der Besetzung von Rachels Vater durch den Juden und stets Juden spielenden Ron Leibmann, durch die ihre Figur zumindest „,half-Jewish’“ würde. Auch kann beobachtet werden, dass Rachels Figur zumindest anfänglich nahtlos an das klischeeierte Stereotyp der „Jewish-American princess“ und „object of desire“ anknüpft, welches – so Zurawik – zuvor in anderen Sitcoms wie The Nanny etabliert wurde. Auch die wiederholte Anspielung auf Rachels Nasen-Operation ließe sich als Spiel mit Klischees über jüdische Frauen verstehen. Jedoch äußert sie die Serie dazu nicht konkret.

Einschub: Ich lege dir hier mal einen sehr interessanten Artikel aus Shofar – An Interdisciplinary Journal of Jewish Studies anbei. Er ist sehr lang und ich kann hier nicht länger darauf eingehen, ich fand ihn aber sehr lesenswert: Er hat den Titel „’Cutting off Your noses to spuite your Race‘. Jewish Stereotypes, Media Images, Cultural Hybridity“ und beschäftigt sich mit den schönheitschirurgischen „Anpassungen“ von vor allem jüdischen Schauspielerinnen/Musikerinnen für die Film/Medien/Musikbranche. Die Autorin Bernice Schrank befragt hierbei vor allem Hollywood und seine Rezipient*innen auf ihre Vorurteile und beschreibt gleichzeitig die Veränderung des Umgangs mit „Jewish Stereotypes“ basierend auf Körperlichkeiten.

Und all diese Vermutungen bleiben Vermutungen und sind, so empfinde ich das, beinahe unnötig, weil sie Gefahr laufen, sich rein auf stereotype Zuschreibungen zu verlassen, nicht jedoch auf Wissen oder bewusste Auseinandersetzung in der Serie.

Jedoch finde ich die Information, dass Rachels Figur aufgrund der Besetzung des Schauspielers, der ihren Vater spielt, von Menschen „jüdisch gelesen“ werden kann, eine interessante Beobachtung. Sie erzählt recht viel über Besetzungslogiken in Film und Fernsehen und darüber, wie wir Menschen Wissen und Nicht-Wissen als gesetzte Informationen verarbeiten und kann so nicht einfach wegignoriert werden. Was also passiert, wenn wir nichts über eine Figur, aber über den- oder diejenige, die sie verkörpert, wissen? Kann das Wissen, dass wir über den Schauspieler* haben, die Figur mit „Identität“ anreichern? Er gibt ihr ja auch seinen Körper, seine Stimme, seine Bewegung – warum nicht auch diese Form von Ausdruck einer kulturellen Identität?

Ich habe sehr viele offenen Fragen, die sehr komplex in ihrer Auseinandersetzung sind und vermutlich keine einfachen Lösungen parat halten. Ich werfe sie als solche in den Raum:

Müssen die kulturellen Zuschreibungen an Schauspieler*in und Figur zwangsläufig zusammenpassen und in der Darstellung kommentiert werden, also eine Rolle spielen?

Kann ein jüdischer Schauspieler keine nicht-jüdische Figur spielen?

Oder umgekehrt: Kann eine nicht-jüdische Schauspielerin eine jüdische Figur spielen?

Und weitergesponnen: Darf ein nicht-jüdischer Schauspieler eine jüdische Figur spielen?

Und nochmal weitergesponnen: Darf ein jüdischer Schauspieler eine nicht-jüdische Figur spielen?

Ich kriege schon einen Knoten in den Kopf. Die Antworten sind vermutlich nicht pauschal verfügbar, sondern sollten jeweils am konkreten Beispiel besprochen werden. Jedoch einige Gedanken dazu, welche ich mir aus der Perspektive einer Regisseurin gemacht habe:

Zum Beispiel würde widersprechen, dass ein nicht-jüdischer Schauspieler eine jüdische Figur spielt, weil dieser, sofern ihr Jüdisch-Sein explizit eine Rolle spielt, vermutlich sehr stark auf reine Klischees spielen würde, um „das Jüdische“ in der Figur zu zeigen. Und das ist aus der Fremdperspektive einfach nur peinlich. Dass es aber funktioniert, dass mit Klischees gespielt wird, haben wir in The Nanny gesehen. Hier funktioniert Frans Fines/Fran Dreschers Spiel mit Klischees aus meinen Perspektive absolut empowernd. Aber Fran Drescher spielt mit diesen Klischees ja auch nicht aus der Fremd-, sondern aus der Eigenperspektive. Das bedeutet: Die Fremdperspektive scheint unangebracht, weil Vermutungen an identitätsbildenen Elementen im Spiel vergrößert würden, gleichzeitig kann die Eigenperspektive auf der Bühne im oft auch absolut überzogenen Spiel unfassbar lustvoll sein und bestärkend wirken.

Wiederum könnte man anmerken, dass es absolut unangebracht ist, dass weiße Schauspieler*innen durch Blackfacing zu Schwarzen Figuren gemacht werden. Hier haben wir es mit einer (sachte formuliert) „Aneignung“, welche in ihrer Geschichte auf eine schreckliche Praxis in den USA zurückzuführen ist, als weiße Performer, um ihre Macht über Schwarze Menschen zu demonstrierten, sich in sogenannten Minstreal Shows schwarz anmalten und karikaturhafte Versionen von Schwarzen Bürger*innen spielten, um sich über sie lustig zu machen. Noch heute gibt es Karnevals-Gruppen, auch in Deutschland, die sich als Kameruner „verkleiden“. Ich könnte da jedes Mal einen Brechanfall bekommen, wenn ich das sehe.

Aufgabe 2: Verfasse einen kritischen Zeitungsbericht zur Praxis des Blackfacing in der deutschen Karnevals-Tradition.

So, jetzt bin ich irgendwie schon wieder vom Thema abgekommen, aber ich habe eine These dazu: Ich vermute, weil das Jüdisch-Sein der jeweiligen Figuren in Friends dort explizit gar nicht so präsent verhandelt wird, von Moncia in Staffel 10 sogar als „technicality“ (=Formalie) abgetan wird, ploppen plötzlich an die Fragestellung anknüpfende Randthemen wie Besetzungslogiken auf.

Ich finde wieder den Anschluss: Zurawiks Formulierung oben („appear to be Jewish“) zeichnet den Umgang mit der Frage nach „jüdischer Identität“ in Friends aus: Die Sitcom bezieht sich kaum auf das Jüdisch-Sein der Figuren, sodass die Darstellung eher durch Strategien der Aussparung und Beiläufigkeit auffällt. Denn einzig Ross scheint in seiner Identität zwischen Säkularisierung und Tradition manchmal hin- und hergerissen, wenn auch bezeichnenderweise nur an speziellen Feiertagen wie Chanukka, wie in der uns bereits bekannten Folge The One with the Holiday-Armadillo (Staffel 7, Folge 10, 2000). Als Gürteltier verkleidet nutzt er die Gelegenheit, um seinem Sohn Ben die jüdische Tradition näher zu bringen und ihn „excited for Chanukka“ zu machen. Da betritt plötzlich Chandler als Santa Claus verkleidet die Wohnung und zieht sofort Bens komplette Aufmerksamkeit auf sich. Das Judentum wird hier vom popkulturellen (und für Ben etablierten) Auftritt des Christentums wortwörtlich verdrängt. Dies passiert nicht nur dadurch, dass es eben keine ebenso populäre Verkleidung für das jüdische Lichter-Fest gibt wie für Weihnachten, sondern auch dadurch, dass Ben, dem Ross zuvor erklärt, er sei ein Viertel Jude, mehr für den Weihnachtsmann übrig hat. Bezeichnenderweise versöhnen sich Weihnachten und Chanukka an dieser Stelle, indem sich Ross als „Holiday-Armadillo“ als des Weihnachtsmanns „part-Jewish friend“ vorstellt und sie nun gemeinsame Sachen machen, um Ben Chanukka näher zu bringen. Battegay bezeichnet Ross‘ Verkleidung als Zeichen einer Kreativität, mit der Leerstelle der popkulturellen Repräsentation von Chanukka umzugehen.

Aufgabe 3:

(Quelle: Screenshot der Seite: https://www.amazon.com/TeeCheery-Dreidel-Hanukkah-Sweater-Sweatshirt/dp/B081171M13/ref=sr_1_28?dchild=1&keywords=this%2Bis%2Bhow%2Bwe%2Bjew%2Bit&qid=1591647460&sr=8-28&th=1 [letzer Aufruf: 08.06.2020])


Wenn man im Internet Chanukka + Popkultur eingibt, findet man diese Abbildung von einem Shirt mit dem Slogan „This is how we Jew it“. Vor der großen Synagoge in Budapest (Ungarn) fand ich letztes Jahr, als ich im Sommer Urlaub dort machte, einen Souvenir-Shop, der voll war mit Shirts, Taschen und anderen Printträgern mit Slogans, die vergleichbar sind. Versuche in einem kurzen Aufsatz, den Slogan zu beschreiben, zu analysieren und dann in Verbindung zu bringen mit den weiteren Abbildungen, die auf dem T-Shirt zu sehen sind. Versuche ihn dann in Verbindung mit den Ausschnitten aus The One With the Holiday-Armadillo zu bringen.

Aufgabe 4: Google nun selbst Chanukka + Popkultur und suche ein Bild mit der acht- bzw. neunarmigen Chanukka. Überlege in einem kleinen Essay, warum es für Chanukka auf den ersten Blick keine figurale Identifikationsfigur wie Santa Claus, den Weihnachtsmann oder das Christkind, sondern einen auf die Entstehung des Judentums zurückgehenden Symbolträger gibt.

Ich finde es bemerkenswert, dass in Friends vor allem an diesem speziellen Feiertag die Frage nach der jüdischen Herkunft und Identität der Figuren so präsent ist, und ansonsten – eben im Alltag – keine Rolle spielt. Sinnbildlich wird dies in der Folge The One with the Birth Mother, Staffel 10, Folge 9, 2004) verhandelt:

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https://www.youtube.com/watch?v=EySY8s8NwaE

Als die Mutter des Kindes, das Moncia und Chandler adoptieren wollen, Monica fälschlicherweise für eine Pfarrerin hält, beginnt diese, die Rolle der Protestantin zu spielen, um der Frau zu gefallen. Auf Chandlers irritiertes Insistieren, sie sei aber keine Pfarrerin, behauptet sie als Chefköchin zumindest so etwas Ähnliches zu sein, denn: „she serves God by feeding the hungry and poor“. Dann fragt sie ärgerlich: „Why couldn’t I be a reverend?“, woraufhin Chandler trocken antwortet: „You’re Jewish.“ Die Identitätszuschreibung als Jüdin kommt für Monica somit von Außen durch ihren Ehemann. Dies kommentiert Monica wiederum mit „Technically!“, also „reine Formalie“.

Monica zeigt so diese Komponente ihrer Identität als austauschbar.

Du findest hier nun meine zusammenfassende Wahrnehmung zur Inszenierung „jüdischer Identität“ in Friends: Zusammenfassend kann man sagen, dass die Frage nach jüdischer Identität in Friends zu einem Nebenaspekt geworden ist, der explizit nur in Ausnahmefällen oder durch Fremdbeschreibungen zu Tage tritt. Die Darstellung weicht der Nicht-Darstellung, die Thematisierung geschieht implizit durch den Modus der Aussparung. In Friends spielt es also kaum eine Rolle, ob und welche der Figuren jüdisch sind. Dies wurde in der Rezeption sowohl positiv als auch negativ bewertet: Einerseits wird damit ein Bild der Willkürlichkeit von Identitätszuschreibungen erzeugt und es entsteht – so schreibt Battegay – die Gefahr, den Begriff „jüdisch“, wenn er dann benutzt wird, inhaltlich zu „leeren“. (Dies stieß bei der Rezeption von Friends nicht immer auf gute Kritiken, vgl. z. B. Interviews, die Zurawik geführt hat). Auf der anderen Seite trägt die Beiläufigkeit bzw. Aussparung der Thematisierung vom Jüdisch-Sein der Figuren auch zu Selbstverständlichkeiten im Umgang mit diesem bei und verweigert sich so (entsprechend dem populärkulturellen Modus) jedweder ideologischen Zuschreibung. Die jüdischen Figuren in Friends sind vor allem erst Mal New Yorker*innen und werden auch als solche dargestellt.

Was ich daran dann aber wieder interessant finde: Joey, einer der sechs Freunde, dessen Familie Wurzeln in Italien hat, wird ebenso als waschechter New Yorker gezeigt, trotzdem bezieht sich die Serie immer wieder sehr explizit auf dessen kulturelle Herkunft, seine italienische Groß-Familie und seine Sprach(un-)fähigkeit des Italienischen. Somit, so könnte man schlussfolgern, scheint die Serie sich explizit dafür entschieden zu haben, gerade die Frage nach dem Jüdischen der Figuren in diesem Modus der Nebensächlichkeit, als „Formalie“ und als (bewusste) Leerstelle zu verhandeln, nicht aber die der Minderheiten grundsätzlich.

Aufgabe 5: Überlege, woran das liegen könnte. Vielleicht hast du eine Idee! Ich bin noch unschlüssig. Es ist natürlich auch gut möglich, dass das, was ich da beobachte, reiner Zufall ist. Ich unterstelle jedoch jedem kreativen Kopf, der sich Geschichten und Figuren ausdenkt, zunächst einmal eine Absichtlichkeit in seinem Tun.