strukturelle Diskriminierung

In dieser Lektion wollen wir uns dem Begriff der strukturellen Diskriminierung ein bisschen nähern. Die Definition von Struktureller Diskriminierung umfasst sowohl die unterschiedlichen Ebenen, auf denen Diskriminierung stattfindet, als auch die Mechanismen, die zu ihrer Erzeugung und Aufrechterhaltung beitragen.

(vgl. Czollek et al. 2019: 172)

Ein Kind wird in eine Gesellschaft geboren, in der Vorurteile und Stereotypen, Gewohnheiten und Traditionen herrschen.

Die individuelle Ebene von Diskriminierung bezieht sich auf das diskriminierende Sprechen und Handeln von Einzelpersonen. Im Laufe des Lebens wird das Kind durch eine Vielzahl von Erlebnissen auf dieser individuellen Ebene sozialisiert, d.h. es bildet seine Erwartungen, Normen, Werte und Rollenverständnisse durch Kontakt zu Menschen, denen es vertraut, Z.B. Eltern, Verwandte oder Lehrerinnen und Lehrer.

Zu dieser individuellen Ebene der Sozialisation kommt eine kulturelle und Institutionelle hinzu. Strukturelle Diskriminierung bezeichnet das Ineinandergreifen diskriminierender Praxen auf diesen drei Ebenen.

Die kulturelle Ebene erfasst diskursive und epistemische Dimensionen, d. h. Wissen, Normen und Werte, die in öffentlichen Diskursen sowie in Musik, Literatur, Filmen und auch der Werbung vermittelt werden.

Institutionen sind Kirchen, Schulen und Medien, aber auch Wissenschaft, Wirtschaft und Medizin, eben alles menschliche Zusammenleben, was in unserer Gesellschaft bestimmten stabilen Mustern folgt. Die institutionelle Ebene von Diskriminierung verweist dementsprechend auf diskriminierende Politiken und Gesetze, rechtlich verankerte Praxen sowie Regeln, Normen und Sitten, die von Institutionen durchgesetzt und durchgeführt werden.

Zum Beispiel kann eine Lehrperson eine*n Schüler*in diskriminieren, indem sie dieser*m trotz guter Schulnoten keine Gymnasialempfehlung ausstellt, weil der*die Schüler*in aus einer bildungsbenachteiligten Familie kommt (individuelle Diskriminierung). Als Lehrperson ist sie Repräsentantin einer Institution, der Schule, die ihrerseits diese Entscheidung unterstützt beziehungsweise nichts dagegen unternimmt (institutionelle Diskriminierung). Die Schule wiederum ist, wie jede Institution, eingebettet in eine Gesellschaft, die Menschen aus bildungsbenachteiligten Familien stereotypisierend abwertet, ihnen keine schulischen Erfolge zutraut und ihnen zu wenige Ressourcen zur Verfügung stellt (kulturelle Diskriminierung).

Im Gegensatz dazu würde, wenn man einen weißen Deutschen als Kartoffel bezeichnet das zwar eine individuelle Diskriminierung sein, aber keine kulturelle oder institutionelle. Die Person hätte die vollständige institutionelle Unterstützung, seine Privilegien auszuleben, und es würde wohl kaum vorkommen, dass er in den Medien mit Vorurteilen bedacht wird.

Es ist eine falsche Vorstellung, dass sich in einer Gesellschaft immer eindeutig diskriminierte und diskriminierende Menschen gegenüber stehen, weil dieses Bild der Komplexität Struktureller Diskriminierung nicht gerecht werden kann. Ein Mensch kann privilegiert und unterdrückend sein auf Grund seiner Hautfarbe und seiner Einstellung gegenüber anderen Gruppen, gleichzeitig aber auch selbst individuell, kulturell und institutionell diskriminiert, in diesem Beispiel durch Klassismus, also auf Grund seiner Klasse und Bildungsbenachteiligung.

Diese verschiedenen Erfahrungen führen zu unterschiedlichen Reaktionen wie zum Beispiel Schweigen, Wut, Ärger, Ignoranz oder geheimen Einverständnis. Es prägt sich eine bestimmte alltägliche Haltung und Einstellung aus und Machtmuster werden internalisiert. Bricht dieser Mensch nicht damit, beginnt der vorher angesprochene Kreislauf der Sozialisation von vorne.

Um etwas an diesem Kreislauf zu ändern, müssen wir gemeinsam darüber nachdenken, wie Vorurteile auf diesen drei Ebenen abgebaut werden können, wie man vorurteilsbehaftete Einstellungen ändern kann, wie inklusive und partizipative Strukturen geschaffen und wie auch privilegierte Menschen für ihre Implementierung gewonnen werden können.      

Leah Carola Czollek, Gudrun Perko, Corinne Kaszner und Max Czollek bezeichnen in ihrem Praxishandbuch „Social Justice und Diversity“ Strukturelle Diskriminierung als

„das Verwehren eines gleichberechtigten Zugangs zu gesellschaftlichen Ressourcen sowie das Verwehren gesellschaftlicher Anerkennung für Menschen basierend auf ihrer oder der ihnen zugeschriebenen Zugehörigkeit zu bestimmten Diversitätskategorien. Strukturelle Diskriminierung ist zudem durch die Mechanismen und Prozesse des Othering gekennzeichnet, bei denen Menschen mittels Stereotypisierung zu Anderen gemacht, als Projektionsfläche imaginiert und dadurch gleichsam ent-subjektiviert werden. Sie findet in ökonomischen, politischen, sozialen wie auch kulturellen Bereichen statt. Sie manifestiert sich auch in einem gesellschaftlichen Common Sense (Gemeinsinn), der festlegt, wer in einer gesellschaftlich-geschichtlichen Gegenwart mittels zugeschriebener Eigenschaften wie Leistungsfähigkeit, Gesundheit oder Normalität welchen gesellschaftlichen Status zugewiesen bekommt. Strukturelle Diskriminierung basiert also auf bestimmten Denkschemata und Vorstellungen, die sich nicht zuletzt aus historisch überlieferten Reinheits- und Homogenitätsfantasien speisen.“

(Czollek et al. 2019: 26)

Das heißt, Menschen werden auf Grund ihrer Gruppenzugehörigkeit zum Einen bestimmte Ressourcen, zum Anderen Anerkennung verwehrt. Zum Beispiel verdienen Frauen statistisch gesehen weniger als Männer (Ressourcen). Dazu werden sie nicht gleichberechtigt im alltäglichen Umgang anerkannt, was zu Sexismus führt (Anerkennung).

„Othering“ ist ein zentraler Begriff dafür. Die unterdrückte Gruppe wird anhand von vorhandenen Normen zu Anderen gemacht oder als Anders dargestellt.

Folgende Fragen gebe ich euch mit auf den Weg, um über strukturelle Diskriminierung in eurem Umfeld nachzudenken:

  • Was kann ich selbst tun, um Strukturelle Diskriminierung zu erkennen und dagegen zu handeln?
  • Wie kann ich mit jenen Menschen über Strukturelle Diskriminierung sprechen, die mir nahe stehen?
  • Was kann ich in Bezug auf Personen, mit denen ich im Arbeitskontext zu tun habe (Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen), gegen Strukturelle Diskriminierung tun?
  • Wie kann ich in öffentlichen Bereichen wie Schule, Hochschule oder Ausbildungsort tätig werden gegen Strukturelle Diskriminierung?