Antisemitismus in der Schule

Im vorherigen Abschnitt bin ich immer wieder auf die Studie von Julia Bernstein zu Antisemitismus an Schulen eingegangen. Die Studie Bernsteins über Antisemitismus ist im Rahmen einer 17-monatigen soziologisch-qualitativen Befragung angelegt. Das Besondere an dieser Studie ist, dass sie erstmals Erfahrungen und Empfindungen von Betroffenen von Antisemitismus in den Vordergrund stellt. Es wurden 251 Interviews geführt, davon 61 mit jüdischen Schüler*innen, ihren Eltern und Sozialarbeiter*innen, 132 mit jüdischen und nichtjüdischen Lehrer*innen, 44 mit nichtjüdischen Schüler*innen und Student*innen sowie 14 mit Expert*innen aus Bildungsorganisationen.

Durch die Interviews konnten Wahrnehmungs- und Handlungsweisen rekonstruiert werden und festgestellt werden, dass die Perspektiven der Betroffenen und der nichtjüdischen Lehrkräfte sehr weit auseinander gehen. Auch bestätigten sich die Annahmen, dass Antisemitismus an Schulen pädagogisch nur sehr defizitär begegnet wird und die strukturellen Probleme des Bildungssystems dazu führen, dass Antisemitismus im Schulalltag kaum erkannt und ernst genommen wird.  

Insgesamt kann man von einer großen Spannweite an antisemitischen Handlungen und Mustern sprechen, von einfachen Differenzkonstruktionen über Alltagsantisemitismus bis hin zu Vernichtungsphantasien und Gewalt. (vgl. Bernstein 2020: 477ff) 

Jüdische Schüler*innen werden häufig von Lehrer*innen zu „Repräsentant*innen eines homogenisierten jüdisch-israelischen Kollektivs“ (Bernstein 2020: 479) erklärt, ganz unabhängig davon, ob und welche Verbindung sie zu Israel haben. Dementsprechend werden sie sowohl als „Opfer“ (Shoah), wie auch als „Täter“ (Israel) betrachtet, nie aber als „normal“.

Hinzu kommt eine strukturelle Benachteiligung durch das Bildungssystems, indem die Norm als neutral dargestellt wird und Jüdinnen und Juden als Angehörige einer Minderheit als „anders“ wahrgenommen werden. Dies führt auch dazu, dass Antisemitismus an Schulen für die Betroffenen als normal wahrgenommen wird. (vgl. Bernstein 2020: 479f)

Ein gutes Beispiel ist das Schimpfwort „du Jude“. Das Schimpfwort wird im jugendsprachlichen Gebrauch als normal verstanden, aber

„beeinflusst […] das Bild über Jüdinnen und Juden, hat negative Auswirkungen sowohl auf die jüdische Identität, die Teilhabe und das Alltagsleben der Jüdinnen und Juden in Deutschland, als auch generell auf das Klima der demokratischen Gesellschaft.“

(Bernstein 2020: 480)

Diese Stigmatisierung führt auch dazu, dass jüdische Menschen Angst davor haben ihre jüdische Identität offen zu zeigen, zum Beispiel durch das Vermeiden des Tragens von jüdischen Symbolen. (Zick et al 2017b S.32)

Vor allem sekundärer Antisemitismus und israelbezogener Antisemitismus dominieren in der Schule, wobei alle im vorherigen Abschnitt benannten Formen vorkommen. Antisemitische Anfeindungen geschehen regelmäßig und dauern über lange Zeiträume an. Schüler*innen machen antisemitische Witze, benutzen nationalsozialistische Symboliken wie den Hitlergruß oder das Hakenkreuz und sprechen offen über ihre Vernichtungsphantasien. (vgl. Bernstein 2020: 480f).

Antisemitismus an Schulen geht aber nicht nur von Mitschüler*innen aus, sondern auch von Lehrkräften. Obwohl diese es weniger offen als die Schüler*innen zeigen, kommt insbesondere israelbezogener Antisemitismus als Anspruch, „Kritik“ zu üben, besonders häufig vor. (vgl. Bernstein 2020: 481) Hinzu kommt, dass Lehrkräfte und Schulleitungen oft die Erlebnisse relativieren und verharmlosen. Das führt verständlicherweise zu einer sehr hohen emotionalen Belastung der betroffenen Schüler*innen, der sogar dazu führen kann, dass die Opfer die Schule verlassen, während die Täter*innen weiter toleriert werden.      

Im Folgenden findest du ein interessantes Interview mit Julia Bernstein, bei dem sie die derzeitigen Zustände sehr gut beschreibt:

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https://www.youtube.com/watch?v=vUpE1ZENIAg